Der Neubeginn
Das Kulturforum wurde ab 1960 aus dem Schmerz geboren und war zur Vision verdammt. Am Anfang stand eine doppelte Negation: der endgültige Abriss der Altbauten des stark zerstörten Tiergartenviertels mit den baulichen Relikten der Nazi-Diktatur und die Abwehr des sozialistischen Deutschlands hinter der Mauer. Die gewünschte Metamorphose des Ortes war ohne Härte und Verluste nicht zu haben. Mit der Abräumung der Kriegsruinen wurden die Bauten, die Geschichte des Viertels und die Schicksale von Enteignung, Vertreibung und Tod seiner Bewohnerschaft entsorgt und vergessen. Für den Umgang mit der Dystopie der nationalsozialistischen Stadtplanung und den schrecklichen Folgen der Diktatur bildeten Tilgung und Verdrängung das Leitmotiv. Nachdem durch den Nationalsozialismus, den Bombenkrieg und die Enttrümmerung Tabula rasa im alten Tiergartenviertel gemacht worden war, sollte der Neubeginn auf einer von allen Relikten, Erinnerungen und Ideologien befreiten Fläche erfolgen. Zwei utopische Narrative standen an der Wiege des Kulturforums: die durch den Mauerbau evozierte Utopie der Wiedervereinigung Berlins und der Aufbruch in eine bessere Zukunft mit technologischem Fortschritt und wirtschaftlichem Aufschwung. Die Aufbruchsutopie hatte in Architektur und Stadtplanung in den 1950er Jahren zur Orientierung am Leitbild der autogerechten und funktionsgetrennten Stadt geführt. Beides geht letztlich auf die Charta von Athen zurück, die bereits 1933 wegweisende Ideen für den modernen Städtebau formuliert hatte. Das planerische Paradigma einer »autogerechten Kulturstadt« prägte das Kulturforum in seiner Entstehungszeit entscheidend. Es ist maßgeblich für die aus heutiger Sicht beklagten Defizite des Areals verantwortlich.
Der Grundbesitz
Auf welchem Grund und Boden steht das Kulturforum? Wo waren die privaten Grundeigentümer 1945 und später? Warum wurden die Enteignungen nicht rückgängig gemacht? Man darf vermuten, dass die in den Baubehörden verbliebenen Nationalsozialisten ihre eigenen Planungen nicht revidieren wollten. Für den politisch unbelasteten Teil der Mitarbeiter eröffnete die „Stunde Null“ eine einmalige Gelegenheit zur Umsetzung „moderner“ städtebaulicher Leitbilder der autogerechten und funktionsgetrennten Stadt. Beide Gruppen hatten kein Interesse an einer historisch orientierten Rekonstruktion des Quartiers und dem Erhalt des städtebaulichen Grundrisses. Die Chance war einfach zu gut, um sie nicht zu ergreifen. So blieb es bei dem Ergebnis der Enteignungen, und der Transfer von privatem in öffentliches Eigentum wurde weiter vorangetrieben. Man wüsste gern, welche Grundstücke auf welcher Grundlage und mit welchen Entschädigungen in den 50er und 60er Jahren in öffentliches Eigentum übergingen.
Der Hauptstadtwettbewerb 1957/58
1957/58 fand in West-Berlin der Wettbewerb Hauptstadt Berlin statt. Er war von der Bundesregierung und dem Berliner Senat angesetzt worden, um im Falle einer Wiedervereinigung Berlin als Hauptstadt und Weltstadt entwickeln zu können. Die Auslobung folgte den Prinzipien der funktionell gegliederten, autogerechten und aufgelockerten Stadt: „Das Gesicht der neuen Hauptstadt wird nicht die Züge eines nationalistischen Machtstaates tragen, sondern geformt sein von den Ideen der Demokratie und des gleichrangigen Zusammenlebens der Völker. Das neue Herz der Weltstadt aber wird befreit sein von dem ungeordneten Durcheinander von Verwaltungs-, Kultur-, Geschäfts-, Arbeits- und Wohnbauten und von der … Übernutzung des Bodens. In einer neuen Ordnung und Auflockerung wird die City nicht nur der Wirtschaft und dem Verkehr – dem fließenden wie dem ruhenden –, sondern auch den Menschen Rechnung tragen.“ Aus heutiger Sicht ist der Wettbewerb ein Dokument fehlgeleiteter Utopien der 50er und 60er Jahre.
Das Strassennetz und die Kulturbauten
Die neue Verkehrsführung für das Kulturforum leitet sich aus dem 1957 verabschiedeten Verkehrskonzept für Berlin ab. Das Konzept sieht eine rasterförmige Netzstruktur mit Autobahnen und Tangenten um die Innenstadt vor. Hauptverkehrsstraßen und Verkehrsstraßen verteilen den Verkehr darin kleinräumig weiter. Bis auf die nicht realisierte Westtangente wurde das Modell im Kulturforum umgesetzt. Die neue Potsdamer Straße läuft als mehrspuriger Parkway in einer eleganten Kurve auf den Potsdamer Platz zu. Sie wurde als verkehrstechnisches und ästhetisches Gegenbild zur alten Reichsstraße 1 inszeniert. Das Kulturforum bildete das neue Ziel der Fahrt auf der „Potse“ von den neuen Kommerztempeln in Steglitz durch heruntergekommene Altbauquartiere bis zum Vergnügungsviertel südlich des Landwehrkanals. Die große Geste endete nach wenigen Metern an der Mauer und ging in die „Entlastungsstraße“ über, die den Durchgangsverkehr nach Moabit ableiten musste.
Die Jahrhundertwerke
„Dem Übermaß jener Düsternis, die uns mit ihrer Wüste bedroht, setzt Hans Scharoun und mit ihm das freie Berlin … auf dem äußersten Punkt, der jetzt gewagt werden kann, in der Philharmonie das Bekenntnis zum Musischen entgegen, die reinster Klang aus Mitmenschlichkeit ist und darum Glaube an die Kraft der Freiheit.“ Mit diesen Worten von Adolf Arndt wurde im Oktober 1963 die Philharmonie eröffnet – zwei Jahre nach dem Bau der Mauer und drei Jahre nach dem Wiederaufbau der St. Matthäus-Kirche. Der spektakuläre organische Bau ohne rechte Winkel, Achsen und bauliche Hierarchien war die Negation der von Albert Speer für das Tiergartenviertel vorgesehenen Bauten für die Wehrmacht. Im September 1968 folgte mit der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe die Ikone der Klassischen Moderne in Berlin. Der Bau von zwei Jahrhundertwerken für die Kultur direkt an der Sektorengrenze in nicht einmal 10 Jahren setzte ein starkes Signal der Selbstbehauptung und des Aufbruchs West-Berlins.