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Der Neubeginn

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Das um 1961/62 aufgenommene 100° Panorama von Otto Borutta zeigt das entstehende Kulturforum mit der Philharmonie, der St.-Matthäus-Kirche und dem Haus des Fremdenverkehrs von Süd-Westen. Die Ruine des Baues von Theodor Dierksmeier wurde 1963 abgerissen. © Berlinische Galerie / Otto Borutta

Das Kulturforum wurde ab 1960 aus dem Schmerz geboren und war zur Vision verdammt. Am Anfang stand eine doppelte Negation: der endgültige Abriss der Altbauten des stark zerstörten Tiergartenviertels mit den baulichen Relikten der Nazi-Diktatur und die Abwehr des sozialistischen Deutschlands hinter der Mauer. Die gewünschte Metamorphose des Ortes war ohne Härte und Verluste nicht zu haben. Mit der Abräumung der Kriegsruinen wurden die Bauten, die Geschichte des Viertels und die Schicksale von Enteignung, Vertreibung und Tod seiner Bewohnerschaft entsorgt und vergessen. Für den Umgang mit der Dystopie der nationalsozialistischen Stadtplanung und den schrecklichen Folgen der Diktatur bildeten Tilgung und Verdrängung das Leitmotiv. Nachdem durch den Nationalsozialismus, den Bombenkrieg und die Enttrümmerung Tabula rasa im alten Tiergartenviertel gemacht worden war, sollte der Neubeginn auf einer von allen Relikten, Erinnerungen und Ideologien befreiten Fläche erfolgen. Zwei utopische Narrative standen an der Wiege des Kulturforums: die durch den Mauerbau evozierte Utopie der Wiedervereinigung Berlins und der Aufbruch in eine bessere Zukunft mit technologischem Fortschritt und wirtschaftlichem Aufschwung. Die Aufbruchsutopie hatte in Architektur und Stadtplanung in den 1950er Jahren zur Orientierung am Leitbild der autogerechten und funktionsgetrennten Stadt geführt. Beides geht letztlich auf die Charta von Athen zurück, die bereits 1933 wegweisende Ideen für den modernen Städtebau formuliert hatte. Das planerische Paradigma einer »autogerechten Kulturstadt« prägte das Kulturforum in seiner Entstehungszeit entscheidend. Es ist maßgeblich für die aus heutiger Sicht beklagten Defizite des Areals verantwortlich.

Der Grundbesitz

Auf welchem Grund und Boden steht das Kulturforum? Wo waren die privaten Grundeigentümer 1945 und später? Warum wurden die Enteignungen nicht rückgängig gemacht? Man darf vermuten, dass die in den Baubehörden verbliebenen Nationalsozialisten ihre eigenen Planungen nicht revidieren wollten. Für den politisch unbelasteten Teil der Mitarbeiter eröffnete die „Stunde Null“ eine einmalige Gelegenheit zur Umsetzung „moderner“ städtebaulicher Leitbilder der autogerechten und funktionsgetrennten Stadt. Beide Gruppen hatten kein Interesse an einer historisch orientierten Rekonstruktion des Quartiers und dem Erhalt des städtebaulichen Grundrisses. Die Chance war einfach zu gut, um sie nicht zu ergreifen. So blieb es bei dem Ergebnis der Enteignungen, und der Transfer von privatem in öffentliches Eigentum wurde weiter vorangetrieben. Man wüsste gern, welche Grundstücke auf welcher Grundlage und mit welchen Entschädigungen in den 50er und 60er Jahren in öffentliches Eigentum übergingen.

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Die Karte aus der Publikation von 1960 zum Hauptstadtwettbewerb zeigt den öffentlichen Grundbesitz im Wettbewerbsgebiet. Eigentum des ehemaligen Deutschen Reichs ist rot eingefärbt, Flächen des Landes Berlin sind gelb eingefärbt. Im Tiergartenviertel erkennt man die höchste Konzentration an öffentlichem Grundbesitz in der Innenstadt Berlins. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

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Der Ausschnitt aus einer Karte des Senators für Wohnungswesen zum Hauptstadtwettbewerb zeigt im Zusammendruck den öffentlichen Grundbesitz ockergelb eingefärbt über den Grundstücksparzellen und dem Zustand der Bebauung (erhalten, stark beschädigt, zerstört). Das Tiergartenviertel ist fast vollständig als zerstört klassifiziert. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

Der Hauptstadtwettbewerb 1957/58

1957/58 fand in West-Berlin der Wettbewerb Hauptstadt Berlin statt. Er war von der Bundesregierung und dem Berliner Senat angesetzt worden, um im Falle einer Wiedervereinigung Berlin als Hauptstadt und Weltstadt entwickeln zu können. Die Auslobung folgte den Prinzipien der funktionell gegliederten, autogerechten und aufgelockerten Stadt: „Das Gesicht der neuen Hauptstadt wird nicht die Züge eines nationalistischen Machtstaates tragen, sondern geformt sein von den Ideen der Demokratie und des gleichrangigen Zusammenlebens der Völker. Das neue Herz der Weltstadt aber wird befreit sein von dem ungeordneten Durcheinander von Verwaltungs-, Kultur-, Geschäfts-, Arbeits- und Wohnbauten und von der … Übernutzung des Bodens. In einer neuen Ordnung und Auflockerung wird die City nicht nur der Wirtschaft und dem Verkehr – dem fließenden wie dem ruhenden –, sondern auch den Menschen Rechnung tragen.“ Aus heutiger Sicht ist der Wettbewerb ein Dokument fehlgeleiteter Utopien der 50er und 60er Jahre.

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Das Konzept von Hans Scharoun und Wils Ebert erhielt einen 2. Preis. Mit ihrem Entwurf wandeln sie das Berliner Zentrum in eine weitläufige Parklandschaft mit getrennten Arealen für Behörden, Kultureinrichtungen und Wirtschaftsbauten um. Die Ordnung und Erschließung erfolgt durch das Verkehrsnetz und visionäre Hubschrauberlandeplätze. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

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Der Entwurf von Alison und Peter Smithson erhielt einen 3. Preis. Mit ihrem Vorschlag der Anlage einer gigantischen Fußgängerplattform in der Friedrichsstadt zur Trennung der gleichberechtigten Verkehrssysteme für den Fußgänger- und den Autoverkehr machten sie Furore. Der Innenstadtbereich sollte sowohl zu Fuß, wie mit dem Auto erlebbar sein. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

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In dieser Isometrie der Träger des ersten Preises – Spengelin, Eggeling und Pempelfort – steht die Kirche St. Matthäus etwas verloren im neuen Tiergartenviertel, umgeben von 10 –18 geschossigen Hochhäusern zur Aufnahme von Bundesministerien. Die Süd-Tangente verläuft wenig entfernt parallel zum Landwehrkanal und durchschneidet das Viertel. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

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Die Architekten Hartmann und Nickerl erhalten in ihrem Entwurf den alten Verlauf der Matthäikirchstraße. Die Kirche ist von aufgelockerten Neubauten umgeben, die für diplomatische Vertretungen vorgesehen sind. In der südöstlichen Ecke des Tiergartens wird in Nachbarschaft zum Potsdamer Platz das neue Kanzleramt platziert. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

Das Strassennetz und die Kulturbauten

Die neue Verkehrsführung für das Kulturforum leitet sich aus dem 1957 verabschiedeten Verkehrskonzept für Berlin ab. Das Konzept sieht eine rasterförmige Netzstruktur mit Autobahnen und Tangenten um die Innenstadt vor. Hauptverkehrsstraßen und Verkehrsstraßen verteilen den Verkehr darin kleinräumig weiter. Bis auf die nicht realisierte Westtangente wurde das Modell im Kulturforum umgesetzt. Die neue Potsdamer Straße läuft als mehrspuriger Parkway in einer eleganten Kurve auf den Potsdamer Platz zu. Sie wurde als verkehrstechnisches und ästhetisches Gegenbild zur alten Reichsstraße 1 inszeniert. Das Kulturforum bildete das neue Ziel der Fahrt auf der „Potse“ von den neuen Kommerztempeln in Steglitz durch heruntergekommene Altbauquartiere bis zum Vergnügungsviertel südlich des Landwehrkanals. Die große Geste endete nach wenigen Metern an der Mauer und ging in die „Entlastungsstraße“ über, die den Durchgangsverkehr nach Moabit ableiten musste.

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Der Plan zum Wettbewerb für die Museen am Tiergarten zeigt deutlich die Dominanz des Straßennetzes im Kulturforum. Von der Westtangente hinter der Staatsbibliothek wird der Verkehr über die Potsdamer Straße bis in die Anliegerstraßen verteilt. Alle Straßen im Viertel sind vierspurig mit einem breiten Mittelstreifen ausgebaut. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Dietmar Katz

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Die Luftaufnahme von Rolf Koehler zeigt das Kulturforum an der Potsdamer Straße am 17.8.1978. Die Bauarbeiten für das Kunstgewerbemuseum haben begonnen. Das neue Straßenraster mit dem Verkehrsknotenpunkt an der Potsdamer Brücke zeigt deutlich die absolute Priorität der Verkehrswegeplanung in der Entstehungszeit des Kulturforums. © bpk / Rolf Koehler

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Selbst die Zufahrten zu den Tiefgaragen sind doppelspurig mit Mittelstreifen ausgebaut und in eleganten Kurven geführt. Die Aufnahme zeigt die Einfahrt in die Tiefgarage der Staatsbibliothek im Jahr 2021. © Joachim Brand

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Die elegant geschwungene Kurve ist das ästhetische Leitmotiv der Straßenplanung im Kulturforum. Sie soll den Eindruck fließender Bewegung und Dynamik evozieren. Die Aufnahme zeigt die Scharounstraße mit Blick auf die Staatsbibliothek etwa aus der Perspektive, die sich aus dem nicht realisierten Restauranttrakt der Museen ergeben hätte. © Bildarchiv BBR

Die Jahrhundertwerke

„Dem Übermaß jener Düsternis, die uns mit ihrer Wüste bedroht, setzt Hans Scharoun und mit ihm das freie Berlin … auf dem äußersten Punkt, der jetzt gewagt werden kann, in der Philharmonie das Bekenntnis zum Musischen entgegen, die reinster Klang aus Mitmenschlichkeit ist und darum Glaube an die Kraft der Freiheit.“ Mit diesen Worten von Adolf Arndt wurde im Oktober 1963 die Philharmonie eröffnet – zwei Jahre nach dem Bau der Mauer und drei Jahre nach dem Wiederaufbau der St. Matthäus-Kirche. Der spektakuläre organische Bau ohne rechte Winkel, Achsen und bauliche Hierarchien war die Negation der von Albert Speer für das Tiergartenviertel vorgesehenen Bauten für die Wehrmacht. Im September 1968 folgte mit der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe die Ikone der Klassischen Moderne in Berlin. Der Bau von zwei Jahrhundertwerken für die Kultur direkt an der Sektorengrenze in nicht einmal 10 Jahren setzte ein starkes Signal der Selbstbehauptung und des Aufbruchs West-Berlins.

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Die Aufnahme von Willy Pragher zeigt die Philharmonie am 3. Juni 1965. Der Berliner Volksmund hatte die Bezeichnung „Circus Karajani“ für die zeltartige Architektur Hans Scharouns geprägt und damit kongenial die Verbindung zum Dirigenten Herbert von Karajan gezogen, der die Berliner Philharmoniker in ihrem neuen Haus wieder zur Weltgeltung brachte. © Staatsarchiv Freiburg W 134 Nr. 078814b / Fotograf: Willy Pragher

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Die Aufnahme von Reinhard Friedrich zeigt die Neue Nationalgalerie am 21. März 1968 wenige Monate vor ihrer Eröffnung. Der Mittelstreifen der neuen Potsdamer Straße wurde mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt, um den Neubau im Brachland des Kulturforums zur Geltung zu bringen. © bpk / Zentralarchiv, SMB / Reinhard Friedrich