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Dystopie Germania

Die Zerstörung eines Viertels

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Dystopie Germania

Die Zerstörung eines Viertels

Die Utopie einer Einheit von Thron und Altar wurde dem deutschen Protestantismus bald zum Verhängnis. Schon die kirchliche Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg hatte gezeigt, wie gefährdet ein allzu staatstragendes Christentum sein konnte.

Nicht erst seit der Machtergreifung Hitlers 1933 bekam die evangelische Kirche den Einfluss der Nationalsozialisten zu spüren. Zwei Lager entstanden: Die staatskonformen „Deutschen Christen“ und die den Führerkult ablehnende „Bekennende Kirche“. Beide Richtungen waren in St. Matthäus mit den Pfarrern Walter Mühlnickel (Deutsche Christen) und Erich Backhaus (Bekennende Kirche) vertreten. Pfarrer Backhaus stellte Adolf Hitler am 28. Juni 1933 nach einem Vortrag vor Deutschen Zeitungsverlegern im Treppenhaus der Matthäikirchstraße 3c zur Rede: „Herr Reichskanzler, sorgen Sie bitte dafür, dass der Staat nicht weiter unsere Kirche vergewaltigen darf!“

Wie existenziell der zerstörerische Einfluss der Nationalsozialisten für die St. Matthäus-Kirche sein sollte, zeigte sich, als die Maßnahmen der „Geschäftsstelle für die Neugestaltung der Reichshauptstadt“ Gestalt gewannen: Albert Speer, der Baumeister Adolf Hitlers, fasste dessen Träume von einer „Welthauptstadt Germania“ in Pläne, die eine gigantische Nord-Süd-Achse quer durch die Stadt vorsahen. Für den Standort der St. Matthäus-Kirche war das Hauptquartier der Heeresleitung vorgesehen.

Ab 1939 wurden für diese Pläne Teile des alten Tiergartenviertels zurückgebaut. Die Gemeinde kämpfte vergeblich für den Erhalt der Kirche: Am 1. Oktober 1939 hätte die Kirche rückgebaut und die Gemeinde nach Nord-Charlottenburg umgesiedelt werden sollen. Nur der Krieg konnte diese Pläne verhindern, der die Kirche als Ruine zurückließ.

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Vogelperspektive der Nord-Süd-Achse von Germania, 1941.

© Archiv Jörn Düwel, Hamburg

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In einer Karte des Verwaltungsbezirks Tiergarten sind die evangelischen Kirchen mit ihren Parochien sowie die geplante Bebauung des „Runden Platzes“ der „Nord-Süd-Achse“ der „Neugestaltung der Reichshauptstadt“ mit farbiger Tusche eingezeichnet. Die St. Matthäus-Kirche steht dort, wo sich künftig der Vorhof des geplanten Oberkommandos des Heeres befinden sollte.

© Evangelisches Landeskirchliches Archiv, 2021

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Schreiben des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“, Albert Speer, an den Gemeindekirchenrat; dieser hatte wiederholt darum ersucht, anstelle der wegen der „Neugestaltung der Reichshauptstadt“ dem Abbruch preiszugebenden St. Matthäus-Kirche ein Ersatzgrundstück für einen Kirchenneubau im Gemeindebezirk zu erhalten.

© Evangelisches Landeskirchliches Archiv, 2021